Ein Gastbeitrag von Bert Flossbach
Dr. Bert Flossbach ist Gründer und Vorstand der Flossbach von Storch AG. Dieser Artikel ist in der Ausgabe 03.2018 von „Position“, dem Magazin von Flossbach von Storch, erschienen und wird mit der freundlichen Genehmigung der Flossbach von Storch AG hier veröffentlicht.
Nachhaltigkeit hat drei Säulen, die oft als ESG abgekürzt werden. Es handelt sich um ökologische (Environement) und soziale (Social) Kriterien sowie Kriterien der guten Unternehmensführung (Governance). Bei ökologisch oder sozial motivierten Investoren geht der letzte Punkt manchmal ein wenig unter. Dr. Flossbach befasst sich in seinem Artikel mit der wichtigen Rolle aktiver Investoren. Meiner Meinung nach ist gerade diese Rolle für nachhaltige Investoren sehr bedeutsam. Aber lesen Sie selbst:
Die Digitalisierung und ihre Folgen sind gewaltige Herausforderungen für Unternehmen. Sie erfordern Weitsicht und Flexibilität. Wer langfristig erfolgreich sein will, muss auch langfristig denken und handeln. Umso wichtiger wird das Management für den Erfolg eines Unternehmens.
Es hilft nichts, aus Sicht eines Unternehmens nur auf die nächsten Quartalszahlen zu schauen. Viel wichtiger, ja geradezu unverzichtbar, ist dagegen ein nachhaltiges Wertesystem für das gesamte Unternehmen; ein solches Wertesystem muss auf persönlicher Verantwortung und Integrität gründen.
In den USA gerät die „alte“ Management-Schule, sich ausschließlich an Quartalszahlen zu orientieren und so die Börsen zu beglücken, zunehmend in die Kritik. Eine nachhaltige Wachstumsstrategie lässt sich schließlich nicht verfolgen, wenn gleichzeitig centgenaue Gewinnprognosen erfüllt werden sollen – wie auch? In der Not werden Quartalsergebnisse dann eben so lange massiert, bis sie den Erwartungen des Finanzmarkts entsprechen. Das beste Beispiel: Jack Welch, der ehemalige Chef von General Electric, der lange Zeit als Managementguru vergöttert wurde, weil er seine Gewinnprognosen nie verfehlt hat. Heute wissen wir, warum das so war! Warren Buffett hat die Vorstellung, den Gewinn eines Unternehmens mit der Präzision eines Uhrwerks steuern zu können, mit der simplen Feststellung „Businesses just don’t work that way“ kommentiert.
In Europa ist die „Quartalsdenke“ zwar weit weniger verbreitet als in den USA; allerdings werden hier die Interessen der Unternehmenseigentümer oft nicht ausreichend berücksichtigt – ein Manko vor allem bei Großkonzernen ohne nachhaltige Aktionärsstruktur. Wenn Vorstand, Aufsichtsrat und Arbeitnehmervertreter sich einvernehmlich ihre Pfründe sichern, droht den Eigentümern des Unternehmens die schleichende Enteignung.
FINANZKRISE UND DIESELSKANDAL HABEN ÄHNLICHE URSACHEN
Gewerkschaften und Arbeitnehmervertreter nicken hohe Vorstandsgehälter und noch höhere Vorstandspensionen ab, wenn umgekehrt die Mitarbeitergehälter kräftig zulegen und der Kündigungsschutz ausgedehnt wird. Ein Old-Boys-Netzwerk schiebt sich gegenseitig Aufsichtsrats- und Vorstandspöstchen zu und sieht in dem Unternehmen vor allem eine Plattform, um persönliche Ziele zu verwirklichen, statt sich als Treuhänder der Anteilseigner zu verstehen. Verfehlungen werden großzügig gedeckt, weil sich die Protagonisten gegenseitig etwas schulden. Es verwundert daher nicht, dass das Epizentrum des Dieselskandals ausgerechnet in dem Unternehmen liegt, wo auch der Filz am größten ist. Die nur zögerliche Aufklärung des Skandals ist da kaum verwunderlich.
Mangelnde Integrität und kurzfristiges Denken bedingen einander. Wir kennen dieses Phänomen aus der Finanzkrise. Die Parallelen zur Dieselkrise sind offenkundig. In beiden Fällen haben fragwürdige rechtliche Vorgaben kreative Manager zur Schummelei geradezu eingeladen. In der Finanzkrise waren es Kredite schlechter Qualität, die gebündelt plötzlich die Höchstnote AAA erhalten und damit formal der Sicherheit von erstklassigen Staatsanleihen entsprochen haben. In der Dieselkrise wiederum haben sich die Autohersteller nicht gegen absurde, völlig willkürlich festgelegte Schadstoff-Grenzwerte gewehrt, sondern, um des lieben Friedens willen, mit der Politik so lange getrickst, bis die Grenzwerte erreicht waren, oder es so ausgesehen hat, als wären sie erreicht. Abschalteinrichtungen waren die Hardcore-Variante, Thermofenster die Softversion. Die Grenzen von Chemie und Physik schienen für den Moment ausgehebelt, so wie einst bei den US-Hypotheken-Anleihen das Verhältnis von Risiko und Ertrag. Am Ende flog der Schwindel auf. Hohe Strafzahlungen wurden verhängt und einzelne Manager inhaftiert.
AKTIVE INVESTOREN BILDEN DAS KORREKTIV
In vielen Vorstandsetagen von Großkonzernen fehlt es seit Jahrzehnten an Eigenverantwortung. Nur wenige Top-Manager besitzen in nennenswertem Umfang Aktien des eigenen Unternehmens. Stattdessen erhalten sie Boni und Aktienoptionen, was zu einer ungleichmäßigen Verteilung von Chancen und Risiken führt. Läuft es gut, verdient man prächtig. Läuft es schlecht, verdient man etwas weniger prächtig. Wo das hinführen kann, haben die Anreizsysteme der Banken in der Finanzkrise gezeigt. Die Möglichkeit, risikolos Gewinne auf Kosten der Allgemeinheit einstreichen zu können, leistet der Schummelei Vorschub.
Bei vielen börsennotierten Großunternehmen sieht sich das Management einer anonymen Masse wehrloser Kleinaktionäre gegenüber. Bei den großen Aktionären handelt es sich zunehmend um passive Investoren, Indexfonds beispielsweise, die gezwungen sind, die Aktien des Unternehmens zu halten, und deren Einflussmöglichkeiten daher begrenzt und selten konstruktiv sind. Deshalb müssen die verbliebenen aktiven Investoren die Funktion eines konstruktiven Korrektivs wahrnehmen und dafür Sorge tragen, dass die Interessen aller Aktionäre gewahrt werden.
EIN UNTERNEHMEN KANN NUR ERFOLGREICH SEIN, WENN …
Aktien von stabilen Unternehmen, die eine kontinuierliche, langfristige Strategie verfolgen und diese erfolgreich umsetzen, sind nachhaltige Anlagen. Dazu braucht es Substanz, sprich genügend Eigenkapital, gefragte Produkte und Innovationen, um Umsatz und Wachstum zu sichern, angemessene Kosten, damit genügend Gewinn anfällt, sowie ein Management, das diese Punkte langfristig und konsequent verfolgt. Dann löst sich auch der häufig thematisierte Widerspruch zwischen den Interessen der Aktionäre und den Interessen anderer Interessengruppen auf. Ein Unternehmen kann nur dann nachhaltig erfolgreich sein, wenn es seine Kunden gut bedient, seine Mitarbeiter motiviert, fair mit seinen Geschäftspartnern umgeht, ausreichend investiert, Steuern zahlt und keine Umweltschäden anrichtet.
Was aber, wenn Eigentum und Management getrennt sind? Die meisten Großkonzerne werden von Managern geführt, die oft keine nennenswerten Anteile am Unternehmen halten. Um den daraus resultierenden Konflikt zu lösen, braucht es ein integres und verantwortungsbewusstes Management, das unternehmerisch denkt und handelt. Die finanziellen Anreizsysteme sollten das Top-Management zur Miteigentümerschaft am Unternehmen verpflichten – nicht durch Optionen, sondern durch die Bedingung, einen relevanten Teil des jährlichen Bonus langfristig in Aktien des Unternehmens zu investieren. Die Aktien sollten sinnvollerweise einige Jahre über das Ende der Tätigkeit hinaus gehalten werden. Damit würden gewiss positive Anreize gesetzt. Es würde vermieden, dass ein ausscheidender Vorstand seine Amtszeit mit einem geschönten Top-Ergebnis krönt, das seinem Nachfolger dann irgendwann später auf die Füße fällt. Ein hart verdientes Aktienpaket ist jedenfalls eher im Interesse des Unternehmens als Pensionsansprüche in Millionenhöhe – und stellt im Übrigen für den Ruheständler keine Verschlechterung dar, wenn er zuvor für das Unternehmen nachhaltig und langfristig erfolgreich gewirtschaftet hat.
DIE BANKEN HABEN UNS GELEHRT, WAS KAHLSCHLAG BEDEUTET
Ein auf Managerinteressen zugeschnittenes Unternehmen ohne Eigentümerkorrektiv ähnelt dagegen einem Wald, den sich ein Pächter für einige Jahre zunutze machen kann, um ihn dann ohne Verlustrisiko an den nächsten Pächter weiterzureichen. Wenn der Pächter ein nachhaltig arbeitender Forstwirt ist, wird er den Wald in bestem Zustand übergeben. Wenn er dagegen vor allem darauf aus ist, kurzfristig hohe Gewinne zu erzielen, und damit einen Kahlschlag verursacht, tragen die Eigentümer den Schaden. Die Banken haben uns in der Finanzkrise gelehrt, was Kahlschlag bedeutet.
Die wachsende Macht passiver Investoren betrachten wir vor diesem Hintergrund mit Sorge. Sie sind – bildlich gesprochen – in jedem Wald der Welt investiert und können sich kaum um die Hege und Pflege des Baumbestandes kümmern. Eingeschritten wird meist erst dann, wenn der Flurschaden bereits eingetreten ist – oder auch gar nicht.
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass konstruktive, langfristig denkende Aktionäre von den meisten Managern geschätzt werden. Die Präsenz aktiver Investoren, die sich bewusst für ein Investment in einem Unternehmen entschieden haben, spornt an, schärft die Sinne und beugt damit auch einer möglichen Verschwendung von Ressourcen vor. Sie ermutigt das Management zu einer transparenten und weniger blumigen Darstellung der Geschäftsentwicklung, die oft von der Angst geprägt ist, die kurzfristigen Erwartungen des Kapitalmarktes zu enttäuschen. Interessanterweise sind viele Manager offen für Anregungen und haben in einzelnen Fällen auch schon begonnen, klarer und schnörkelloser zu kommunizieren. Diese Beispiele machen hoffentlich Schule.