Ein Paper von ESG-Analysten (ESG: Environmental Social Governance) und Portfoliomanagern des französichen Fondsanbieters Comgest analysiert erstmals, wie große Unternehmen während der Covid-Krise mit ihren diversen Lockdowns reagiert haben. Aus dieser Untersuchung heraus ergibt sich nun die wunderbare Gelegenheit, Anspruch – die Marketingtexte auf den Websiten – und Wirklichkeit – konkrete Maßnahmen in einer Pandemie – zu vergleichen.
Comgest leitet das Paper mit diesen Worten ein: „Eine Krise bringt häufig Interessantes über die Kultur eines Unternehmens ans Licht. (…) Für den Umgang mit Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten und Aktionären in einer Krisensituation gibt es keine bestimmte Strategie, die für alle gleichermaßen passt. Die Art und Weise, wie Unternehmen auf die Pandemie reagierten, gibt allerdings Aufschluss über ihre Firmen- und Führungskultur und damit letztlich auch über ihre Chancen, auf Dauer als Unternehmen bestehen zu bleiben.“ Im Folgenden darf ich ihnen ein paar Beispiele dafür näher bringen, wobei an dieser Stelle aber keine Wertung vorgenommen werden soll. Jedes Unternehmen hat sicher gute strategische und finanzielle Gründe für seine Entscheidungen. Die gesetzten Maßnahmen lassen allerdings Schlüsse darauf zu, wen die Unternehmen als ihre relevanteste Zielgruppe ansehen. Die Gesellschaft, Mitarbeiter, Kunden, Eigentümer – viele Gruppen mit unterschiedlichen Interessen. Zusätzlich dürfte die Frage, in welchem Bereich das jeweilige Unternehmen am meisten helfen kann eine Rolle gespielt haben. Ganz klassische Effizienzüberlegungen also.
Das erste zitierte Unternehmen ist der französiche Luxusgüterkonzern LVHM, bekannt durch Marken wie Louis Vuitton, Bulgari oder diverse Champagnermarken. Hier waren der Unternehmensführung offensichtlich die Mitarbeiter am wichtigsten: Sie verzichtete auf Mitarbeiterkündigungen, nahm die staatliche Kurzarbeiterregelung nicht in Anspruch und das Führungsteam verzichtete für April und Mai 2020 auf Gehalt sowie auf alle variablen Vergütungselemente für 2020. Einige Fabriken stellten auf die Produktion von Handdesinfektionsmitteln um und die Firma spendete 12 Millionen Tonnen Desinfektionsgel an Mitarbeiter im Gesundheitswesen und deren Verbände. Die Dividende für 2019 wurde um 30% gekürzt.
Bemerkenswert agierte auch der niederländische Brauereigigant Heineken. Gastwirten wurden teilweise die Mietzahlungen erlassen, die Lieferanten fair behandelt und trotz der enormen Marktmacht des Konzerns wurde nicht bei Kosten und Lieferanten angesetzt. Die Top-Manager verzichteten für 10 Monate auf 20% ihres Gehalts und zusätzlich spendete das Unternehmen 23 Mio. EUR zur Unterstützung von medizinischem Personal. Diese, an sich fast altmodisch wirkende Unternehmenskultur, die gerade in einer Krise die Beziehungen zu Lieferanten und Mitarbeitern stärkt, stellt sicherlich eine Stärke von Heineken dar. Die Analysten von Comgest gehen davon aus, dass eine Unternehmenskultur wie diese, auch weiterhin langfristig ein hohes, qualitätsvolles Wachstum mit sich bringen wird.
Als drittes Beispiel möchte ich L’Oréal bringen. Hier wurde ebenso weltweit auf Entlassungen und Gehaltskürzungen verzichtet. Forderungen an über 100.000 Kunden wurden zurückgestellt und im Gegenzug beinahe 9.000 Lieferanten sogar schneller als sonst üblich bezahlt, damit diese Liquiditätsengpässe vermeiden können. Die Dividende für das Geschäftsjahr 2020 wurde gänzlich gestrichen, über 150 Millionen Euro wurden über Stiftungen und teils in bar gespendet, beispielsweise für Frauen in Not und für Umweltprojekte.
Zusammenfassend gesagt, sind die Autoren bei Comgest der Meinung, dass Unternehmen mit sehr hoher ESG-Qualität langfristig die ertragreicheren und sicheren Investments sind. Als Kriterien dafür definieren sie eine hohe Qualität der ESG-Maßnahmen, vollständige Transparenz der Entscheidungen und Maßnahmen, Minderung der wenigen verbleibenden ESG-Risiken und eine umfassende Integration von Nachhaltigkeit und CSR (Corporate Social Responsibility) in die Unternehmenskultur.
Vielleicht fällt es Laien gar nicht so sehr auf, aber hier betonen Aktienfondsmanager, dass es langfristig richtig und gut ist, dass Unternehmen (wie L’Oréal oder LVHM) in der Covid19-Krise weniger Gewinne ausschütten, damit ihr Geschäftsmodell weiter langfristig erfolgreich laufen kann. Und es handelt sich hier, nebenbei bemerkt, um äußerst erfolgreiche Akitenfondsmanager, die beinahe jeden Vergleichsindex über Jahrzehnte hin schlagen. Man sieht also, es macht für Anleger durchaus Sinn, den langfristigen Erfolg über die kurzfristigen Gewinne zu stellen. Auch dies ist eine Eigenschaft von nachhaltigen Investments.